technokrates said:
lerri said:
@technokrates: ich kann Dir da nicht ganz zustimmen, denn neue Scheiben haben fertigungsbedingt ein deutlich höhere Rauhtiefe als eingebremste (die sind richtig glatt!) und die Schwingungen entstehen durch den sog. Slip-Stick-Effekt -> siehe hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Stick-Slip-Effekt
(dieser ist übrigens ein großes Problem für alle Bremsen- bzw. Fahrwerksentwickler: der Wechsel von Haft- zu Gleitreibung zwischen Bremsbelag / Scheibe führt zu einem schwankenden Reibwert zwischen Belag / Scheibe beim Bremsen. Dieses ruckartige Schwanken des Reibwertes ist die Ursache für das Quietschen)
Hallo lerri
Danke für den fachlichen Begriff den ich nicht mehr wusste und die damit verbundene Auffrischung meiner Kenntnisse in Mechanik.
Ich hörte das mal vor Jahren in einer Vorlesung für technische Akustik. Klar, bei einer Schwingung hätte ich eigentlich gleich auf ein simples Feder-Masse-System kommen müssen, welches bestimmt nicht durch eine homgene Gleitwirkung ins Schwingen gerät.
Tatsächlich richtet sich der Schwingeffekt nicht nach dem Gleitreibungskoeffizienten, sondern nach dem Delta aus Gleit/Haftreibwert, und zeigt sich dann besonders stark (große Amplitude) wenn die Wechselfrequenz der beiden Reibzustände in die Nähe der Resonanzfrequenz des schwingenden Systems geht, richtig? (Da wir bei einer Bremse ein mehrfach axiales Feder-Masse-Sytem haben, gibts unterschiedliche Resonanzfrequenzen, aber vergessen wir das mal..)
Mit "neuer Scheibe" meinte eigentlich nicht die Oberflächengüte der Scheibe direkt nach der Fertigung, sondern nachdem die Scheibe eingebremst ist, aber noch keiner zu starken Belagsdiffusion, thermischen Belastung und Schmutz ausgesetzt war, also einfach nur glatt ist und kaum Reibung entsteht und somit auch die Differenz zwischen Haft/Gleitwert auch sehr klein ist. (kaum Schwingen, kein Quitschen)
Ist es vielleicht auch so, dass das Quitschen durch die Belagsdiffusion begünstigt wird, und deshalb Audi versucht die Beläge zu tauschen? Oder wollen sie die Ausrichtung zwischen Belag/Scheibe korrigieren, was ja nur eine temporäre Verbesserung zur Folge hätte...
Gruß technokrates
...ja, da liegst Du schon gut in der Richtung.
Ein Kollege (Werkstoffwissenschaflter) hatte mal eine Arbeit über das "Verglasen" von Bremsbelägen verfasst - hier ging es um gefügeverändernde Effekte unter starker thermischer Einwirkung und hohen Flächenpressungen an zwei bewegenden Reibpartnern (Scheibe/Belag), verbunden mit extremen inhomogenen Temperaturgradienten, wie die eben bei Scheibenbremssystemen bei hoher Belastung durch Reibung auftreten; gleichzeitig wird mit Luft an bestimmten Orten des Systems noch unterschiedlich stark gekühlt. Das Thema ist wirklich "deep-dive" - eine vollständige Erklärung würde hier auch zu weit führen - wichtig ist, dass sich die Gefügestruktur beim Verglasen stark verändert und eine extrem widerstandsfähige Mikroschicht entsteht, die - leider - einen recht schlechten Reibwert hat.
Ein weiteres Problem ist das Material (Legierung) und v.a. die Herstellverfahren der Bremsscheibe selbst - da gibt es bsp. starke Unterschiede allein in der Gefügestruktur nur durch das Giessverfahren selbst, die sich später auf das Bremssverhalten, Verzug, Korrosion etc. auch unterschiedlich auswirken.
Problem ist nun, dass das alles andere als linear ist und der slip-stick sich unterschiedlich stark unter verschiedenen Situationen (Anpressdruck, Reibwert, Steifigkeit des Systems cte.) einstellt; ein weiterer Punkt ist, dass die Temperatur an der Stelle, wo die Scheibe in den Belag "einläuft", eine geringere Temperatur hat, als der Bereich, wo die Scheibe aus dem Belag rausläuft und diese Temperaturdifferenz ändert sich widerum abhängig von der Rotationsgeschwindigkeit, Flächenpressung, Effizienz der Kühlung der Scheibe etc. - eine Bremse ist ja eine reine Energievernichtungsmaschine (diese Energie wird zu einem Großteil in die Scheibe in Form von Wärme umgesetzt/abgeführt).
Daher ist das Quietschen auch stark abhängig von der gefahrenen Geschwindigkeit und der Pedalkraft -> auch der slip-stick-Effekt schwankt stark.
Nachdem Du ja aus der Akustik-Branche kommst, brauche ich Dir ja nicht erklären, wer den unangenehmen Schalldruck produziert: die zum Schwingen angeregte Scheibe (wenn man sich mal die strukturdynamische Simulation dieses Systems ansieht, sieht man auch, wie sich das ganze Ding wüst verformt)
Was mir - u.a. auch aus Beobachtungen unterschiedlichster Bremssysteme (Serie, Rennsport) über viele Jahre - aufgefallen ist (kann man auch theoretisch aus der Mechanik und Kinematik herleiten, das lassen wir jetzt aber lieber): einen starken Einfluss auf den slip-stick-Effekt hat neben dem Reibwert die mechanische Steifigkeit des gesamten Verbundes Nabe mit Bremsscheibe, Bremssattel mit Halter bzw. Befestigung am Achsschenkel, Dämpfung Belag/Bremskolben etc. und die geometrische Ausrichtung des Bremssattels zur rotierenden Bremsscheibe.
Gerade die Geometrie/Aufbau kann das Schwingen deutlich begünstigen --> wenn bsp. ungünstige Fertigungs- und Montagetoleranzen aufeinander treffen (salopp formuliert: der Bremssattel mit Belag eben nicht sauber mit der Bremsscheiben-Rotationsebene fluchtet); da können ein paar 1/100 mm schon ein unterschiedliches Verhalten nach sich ziehen... (das zu Vermessen, ist jedoch recht aufwändig und normalen Werkstattmitteln nicht mehr machbar)
Das ist m.E. auch
mit ein Grund, warum bei verschiedenen RS3 - neben unterschiedlich eingefahrenen Bremsen - auch unterschiedlich stark dieser Effekt auftritt; man kann dann Scheiben und Beläge tauschen wie man will - ein ungenau gearbeiteter Achsschenkel bleibt eben "schief", da helfen keine neuen Scheiben und Beläge.
Aber, bitte: jetzt nicht gleich alle zum AZ rennen und neue Achsschenkel haben wollen - das ist nur
ein möglicher kleiner Mosaikstein im ganzen Problemfeld (ich werde, sofern ich meinen dann eventuell doch bald mal haben sollte (oder so) - das corpus delicti mal genauer untersuchen...
lerri